Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung -- WIRTSCHAFT -- Mittwoch, 26.07.2000 Nr.172
Reproduziert mit Erlaubnis des Autors vom 13. Juni 2005
Thomas Stenz war Partner und Verwaltungsrat der Ernst & Young AG (heute EY).
Die vergangenen Jahre waren gekennzeichnet durch ein immer stärkeres Auseinanderdriften des in der Jahresrechnung ausgewiesenen Eigenkapitals und der Börsenkapitalisierung von Unternehmen. So entsprach gemäss einer Studie von rund 10'000 börsenkotierten Unternehmen beispielsweise der Buchwert einer Unternehmung im Jahr 1978 noch durchschnittlich 95% von deren Börsenkapitalisierung. Zehn Jahre später hat sich dieser Prozentsatz bereits auf 28% reduziert und liegt heute bei nur noch rund 20%. Diese Entwicklung lässt sich auch leicht aus den im Rahmen von Unternehmenskäufen bezahlten Goodwill-Beträgen (der Differenz zwischen dem Wert der bilanzierten Nettoaktiven und dem Kaufpreis) darstellen, welche immer grössere Ausmasse angenommen haben.
Reale Vermögenswerte nur ein Element
Investoren und Finanzanalytiker sind sich einig, dass der Unternehmenswert immer weniger durch die realen Vermögenswerte (monetäre Aktiven und Passiven sowie Sachanlagen) bestimmt wird, sondern durch unterschiedlichste andere immaterielle Werte wie qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, gute Kunden- und Lieferantenbeziehungen, Markennamen, Know-how und vor allem die Fähigkeit, diese verschiedenen «Wertetreiber» organisatorisch optimal aufeinander abzustimmen. Gerade diese immateriellen Werte fehlen aber meist gänzlich in der traditionellen finanziellen Berichterstattung. Ebenso charakteristisch für die New Economy sind die Globalisierung der Finanzmärkte und die rasante Ausweitung der Produktangebote dieser Märkte. Für fast alle Güter und Werte besteht heute ein Börsenmarkt und damit die Möglichkeit, einen Marktwert zu ermitteln. Die zunehmende Entlöhnung breiter Mitarbeiterkreise mit Aktien oder Optionen des Arbeitgebers ist ein weiterer Aspekt der modernen Wirtschaft. Über allem steht zudem die zeitliche Komponente, da Geschäftsentscheide in immer kürzeren Abständen getroffen werden müssen und dadurch auch in kürzeren Abständen einen Einfluss auf das Unternehmen haben.
Defizite in der Berichterstattung
Die traditionelle finanzielle Berichterstattung von Unternehmen spiegelt diese Aspekte jedoch nicht mehr oder zumindest nur noch ungenügend. So werden die Kosten der Mitarbeiteroptionen nur in seltenen Einzelfällen auch als Aufwand ausgewiesen, die Bewertung des Vermögens erfolgt zu einem wesentlichen Teil immer noch auf der Basis alter Anschaffungskosten, welche über eine bestimmte, einmal festgelegte Zeitdauer abgeschrieben werden. Und trotz Internet-Geschwindigkeit der Wirtschaft erfolgt die finanzielle Rechnungsablage im Wesentlichen immer noch jährlich in Hochglanzbroschüren, und dies erst Monate nach dem Jahresabschluss. Man kann sich zu Recht die Frage stellen, ob diese traditionelle Rechnungsablage mit jährlicher Bilanz, Erfolgsrechnung und einem je nach angewandtem Rechnungslegungs-Standard umfangreichen Anhang noch den Erfordernissen der New Economy gerecht wird. Diese Frage kann aus heutiger Sicht nur noch bedingt mit Ja beantwortet werden. In den vergangenen Jahren hat sich die internationale Rechnungslegung (IAS, FER oder US- GAAP) vor allem mit der weltweiten Vereinheitlichung von Einzelfragen sowie der konsequenten Durchsetzung des Grundsatzes der betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise (True & Fair View) befasst. Veritable konzeptionelle oder grundlegende Anpassungen an die Bedürfnisse der neuen Wirtschaft wurden jedoch nicht behandelt.
Umfangreiche Reformliste
Damit die finanzielle Berichterstattung den wirtschaftlichen Gegebenheiten der New Economy gerecht wird, sind einerseits einige wichtige noch offene Einzelfragen zu regeln. Immaterielle Vermögenswerte sollten die gleiche Bedeutung erlangen wie die traditionellen materiellen und monetären Werte. Zusätzlich ist ein Weg zu finden, wie die von Unternehmen selber erarbeiteten immateriellen Werte ausgewiesen werden. Es kann auf die Dauer nicht im Sinn der Transparenz und Vergleichbarkeit sein, dass ein Unternehmen, das von einem Dritten, beispielsweise als Goodwill im Rahmen einer Akquisition, solche Werte (Markennamen usw.) erwirbt, diese bilanzieren muss, wogegen ein anderes Unternehmen, das diese gleichen Werte über lange Jahre erfolgreicher Geschäftstätigkeit selber erarbeitet hat, diese in seiner finanziellen Berichterstattung nicht ausweisen kann.
Die heute angewandte Mischung aus Niederstwertprinzip für gewisse Bilanzwerte und Marktwertbewertung für andere sollte langfristig einer konsequenten Bewertung zu Marktwerten Platz machen. Es ist nicht im Sinn einer fairen Bilanzierung, dass z. B. die Anlage in einzelnen Renditeliegenschaften zu alten, historischen Anschaffungskosten zu erfolgen hat, wogegen die wirtschaftlich ähnliche Investition in einen Immobilienfonds zu Marktwerten zu bilanzieren ist. In Bezug auf die Behandlung von Mitarbeiteroptionen als Entgelt für Arbeitsleistung muss eine einheitliche jährliche Bewertung zu Marktwerten bis zum Verfall der Option erfolgen. Liegt der Wert der Aktie über dem Ausübungspreis der Option, sollte die Differenz konsequent als Personalaufwand ausgewiesen werden. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter zum Teil mit eigenen Aktien bezahlt, einen höheren Gewinn ausweisen darf als ein Unternehmen, das gleichem Umfange traditionelle Geldentschädigungen vorsieht. Gerade in diesem Bereich bieten auch die sonst sehr detaillierten und investorfreundlichen US-GAAP noch Schlupflöcher, welche von den Unternehmen gerne zur Gewinnverbesserung ausgenützt werden. – Nebst diesen unbestritten noch zu lösenden Einzelfragen in der jährlichen Berichterstattung müssen sich die Berufsstände der Finanzdirektoren, Controller und Wirtschaftsprüfer auch Gedanken über den grundlegenden Inhalt und die Periodizität der Rechnungsablage machen. Ein vor mehreren hundert Jahren entwickeltes Konzept mit jährlicher Bilanz und Erfolgsrechnung auf Basis der doppelten Buchhaltung kann den Anforderungen der modernen Welt nicht mehr genügen.
Ausweis der «Wertetreiber» wäre nötig
Die traditionelle Berichterstattung sollte deshalb ergänzt werden durch weitere, für das Unternehmen und die entsprechende Industrie relevante Angaben über die erwähnten «Wertetreiber» der New Economy. Diese sollten in kürzeren Zeitabschnitten beispielsweise über elektronischen Medien wie das Internet, veröffentlicht werden. Beispiele solcher Daten sind die Anzahl Kunden/Abonnenten für Internet und Medienunternehmen, Auftragsbestände und -eingänge für produzierende Unternehmen oder verkaufte Lizenzen/ Neukunden für Software-Firmen. Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer sollte sich zudem Gedanken darüber machen, wie er seine Aufgabe im Sinn eines modernen Assurance-Ansatzes ausbaut. Auch solche nichttraditionelle aber messbare Informationen können im Sinn eines modernen Verständnisses des Berufsstandes bestätigt werden. Verpassen die Wirtschaftsprüfer diese Chance, so müssen sie sich nicht wundern, wenn die Bedeutung ihrer Arbeit abnimmt und dafür die Enttäuschungen über die Funktion des Wirtschaftsprüfers im Sinn der viel zitierten «Erwartungslücke» zunimmt.
When you can measure what you are speaking about, and express it in numbers, you know something about it;
Lord Kelvin
but when you cannot measure it, when you cannot express it in numbers, your knowledge is of a meagre and unsatisfactory kind;
it may be the beginning of knowledge, but you have scarcely in your thoughts advanced to the state of Science, whatever the matter may be.
Seit der der Veröffentlichung dieses Artikels vor über 20 Jahren in der NZZ hat sich in der Berichterstattung wenig getan. Erst kürzlich haben die 'Standardsetter' (Regierungen, EU...) diese Problemstellung zur Lösung in ihre Agenda aufgemommen und verschiedenen Organisationen Aufträge zu Lösung erteilt. Allerdings mehr mit dem Schwerpunkt 'Sustainability' und 'Impact Reporting'. Ungelöst bleibt zudem die Bewertung dieser Aspekte in monetären Einheiten.
Wenig beachtet in den neuen Lösungsvorschlägen ist weiterhin die Option zur Einführung einer "Hybriden Wertemetrik", also die simultane Darstellung von monetären und nicht-monetären Werteigenschaften in einem mehrdimensionalen Koordinatensystem mit Vektoren. Wie sie seit 30 Jahren in den "Business Engineering Systemen" vorgestellt werden. Beispiele HIER. Eine Erläuterung über 'Vector-Based Value Metrics' gibt es HIER.
Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Technik sind ausserordentlich vielfältig. Senden Sie mir bei Interesse einfach eine E-Mail mit dem Betreff "Hybrid Reporting" an peter.bretscher@bengin.com oder schauen Sie zuerst bei HybridReporting.com.